Lebensdaueruntersuchung von Isoliersystemen mit einem modularen du/dt Pulsgenerator-Prüfstand– Teil 1

Von Prof. Dr. Benjamin Sahan, Prof. Dr.-Ing. Christian Staubach, B. Eng. Kevin Kaczmarek,
B. Eng. Stefan Reddig (Hannover University of Applied Sciences)

M.Sc. Philipp Berkemeier, Dipl. Ing. Konrad Domes, M.Sc. Felix Schönlebe (SAXOGY POWER ELECTRONICS GmbH)

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Prof. Dr. Benjamin Sahan — Hannover University of Applied Sciences
M.Sc. Philipp Berkemeier — SAXOGY POWER ELECTRONICS GmbH

Die Technologie in der Leistungselektronik schreitet kontinuierlich voran. Und genau dadurch ergeben sich fortlaufend auch neue Anforderungen. Vor allem die Isoliersysteme von rotierenden Maschinen, Transformatoren, Kabeln oder Lagern werden immer stärker – durch die vom Wechselrichter erzeugten, steilen du/dt-Spannungspulse – beansprucht.

Insbesondere der rasante Fortschritt bei schnell schaltenden Bauelementen (SiC und GaN) stellt hier neue Herausforderungen dar, denen sich Isolierstoffhersteller und Systemintegratoren stellen müssen.

Dieser Artikel ist in der April-Ausgabe der Bodo’s Power Systems® 2024 erschienen. Unter folgenden Link kann dieser herunter geladen werden: https://www.bodospower.com/current.aspx

Dieser Trend wird, durch die steigende Systemspannung in vielen Anwendungen, wie sie bei Elektrofahrzeugen (400 V auf 800 V) und PV-Anlagen (1000 V auf 1500 V) zu beobachten ist, noch weiter verstärkt. Die Verwendung von Wechselrichtern mit steilen Spannungsflanken, führt zu einer Reduzierung der Schaltverluste – aber auch aus den folgenden Gründen zu einer erhöhten Belastung des Isoliersystems (im Vergleich zur herkömmlichen 50-Hz-Sinusspannung):

  • Reduzierte Teilentladungs-Einsatzspannung (PDIV) sowie erhöhte Teilentladungsaktivität
  • Inhomogene Spannungsverteilung innerhalb der Wicklungen [1]
  • Polarisationseffekte aufgrund der elektrischen Erwärmung durch Verschiebungsströme

Abbildung 1a. zeigt ein Beispiel für einen Prüfling aus verdrilltem Draht, der während des Wechselrichterbetriebs beansprucht wird. Selbst mit bloßem Auge ist eine starke Koronaentladungsaktivität deutlich erkennbar.

In Abbildung 1c. wurde eine herkömmliche Lackdrahtisolierung, ebenfalls als verdrilltes Paar (Twisted Pair) konfiguriert. Nach einer Prüfung mit gepulsten Spannungen wurden deutliche Anzeichen einer Teilentladungserosion festgestellt.

Schließlich zeigt Abbildung 1b ein Beispiel eines zerstörten Motors aufgrund einer fehlerhaften Isolierung.

Abb. 1 a. Prüfkörper mit starker Koronaentladung; b. Motorbeispiel; c. Verdrillte Leitung nach einem Dauertest (im Labor der Hochschule Hannover)

Vor allem bei anspruchsvollen Bedingungen ist es entscheidend, den Alterungsprozess sowie die verbleibende Lebensdauer der Isolation abzuschätzen bzw. vorhersagen zu können.

Aus diesem Grund wurde – gemeinsam von SAXOGY® und der Hochschule Hannover – ein Generator entwickelt, der diese Belastungen im Wechselrichterbetrieb realitätsnah nachbildet und zur beschleunigten Lebensdauerprüfung von Isoliersystemen eingesetzt werden kann.

Mit welchen Anforderungen wird getestet?

Da es derzeit keinen einheitlichen internationalen Standard für Dauertests unter hochfrequenten Spannungsimpulsen für Wickeldrähte gibt, beziehen wir uns auf den bestehenden chinesischen Standard GB/T 4074.21-2018.

Zudem beziehen wir Rückmeldungen und Erfahrungen von Herstellern ein, um gemäß Abbildung 2 die folgenden Anforderungen abzuleiten, die der du/dt-Pulsgenerator erfüllen muss:

  • Spannungskurvenform: Bipolare Rechteckspannung
  • Spitzenspannung: 1,5 kV bzw. 3 kVpp (sollte modular erweiterbar sein)
  • Anstiegszeit tr > 25 ns (10-90%) – einstellbar
  • Max. Spannungssteilheit dv/dt: 60 kV/μs
  • Pulsfrequenz: 20 kHz
  • Prüftemperatur >180 °C
  • Spannungsüberschreitung (1-Up/Ua) < 2%
  • Erdung des Prüflings
Abbildung 2: Spezifikation des Spannungsverlaufs über eine Periode

Zerstörung des Isolationssystems:

Wenn die Isolierung im Laufe der Zeit unter dem Einfluss steiler du/dt-Spannungspulse degradiert, kann es zum Ausfall dieser kommen. Isolationsfehler können zu Lichtbögen führen, welche wiederum den Isolationswiderstand verringern und zu einem Defekt der Baugruppe führen können.

Um Schäden am Prüfstand zu verhindern sowie die resultierende Lebensdauer zu bestimmen ist es notwendig diesen Ausfall der Isolation zuverlässig zu erkennen.

Einflussfaktoren auf die Lebensdauer von Isoliersystemen

In Dauertests der Hochschule Hannover wurden verschiedene Messungen durchgeführt und die resultierenden Ergebnisse einer statistischen Analyse unterzogen. Die Testproben – bestehend aus verdrillten Kupferdrähten („Twisted Pair“) – entsprachen den Spezifikationen der Norm IEC 60851.

Zunächst wurde der Einfluss der Pulsfrequenz fp auf die resultierende elektrische Lebensdauer herkömmlicher Kupferdrahtlacke ohne Zusätze untersucht (siehe Abb. 3). Nach durchschnittlich 4 Minuten versagten die Proben bei einer Prüffrequenz von 11 kHz – bei einer Reduzierung der Prüffrequenz auf 1kHz überstanden die Prüflinge durchschnittlich 55 Minuten.

Die elektrische Lebensdauer nimmt nahezu linear mit zunehmender Prüffrequenz fp ab.

Abbildung 3: Wahrscheinlichkeitsnetz der elektrischen Lebensdauer in Abhängigkeit der Schaltfrequenz

Darüber hinaus wurden die Auswirkungen von Anstiegsgeschwindigkeit, Temperatur und Isoliermaterial auf die resultierende Lebensdauer untersucht und Kombinationen von Anstiegszeit (tr) und Ofentemperaturen gegenübergestellt [2].

Ergebnisse:

  • Die Anstiegszeit der Spannungsflanken hat einen deutlichen Einfluss auf die Lebensdauer (siehe Abb. 4).
  • Eine Erhöhung der Temperatur verringert die elektrische Lebensdauer (siehe Abb. 4).
Abbildung 4: Einfluss von Anstiegszeit und Temperatur auf die Lebensdauer herkömmlicher Kupferdrahtlacke

Entwicklung eines modularen du/dt-Pulsgenerator-Prüfstandes für Lebensdauertests

SAXOGY POWER ELECTRONICS und die Hochschule Hannover haben gemeinsam einen modularen Hochspannungspulsgenerator mit modernster SiC-MOSFET-Technologie entwickelt (siehe Abb. 5).

Das Generatorkonzept ist modular erweiterbar und lässt sich entsprechend der Anwendungsanforderung skalieren. Somit können derzeitige Testanforderungen von Lebensdauertests erfüllt werden und weiterhin künftige Testnormen durch einfache Skalierbarkeit abgedeckt werden.

Die Amplitude der bipolaren Rechteckspannung ist über einen breiten Bereich von 0,4 kVpp bis 12 kVpp einstellbar – je nach Konfiguration mit erreichbaren Spannungssteilheiten von bis zu 200 kV/µs.

Abbildung 5: Skizze von SAXOGY‘s du/dt– Pulsgenerators

Einstellbare Prüflingsbelastungen

Um Spannungsüberschwinger des SiC-Wechselrichters auf maximal 2 % zu reduzieren, wurde eine präzise Gate-Treiberschaltung entwickelt.

Dadurch wird ein nahezu konstanter Spannungsverlauf während des Schaltvorgangs erreicht, der eine gleichmäßige Belastung bei jeder steigenden und fallenden Flanke gewährleistet. Zur Feinabstimmung der Prüflingsbelastung kann durch Auswahl von 16 Stufen die gewünschte Spannungssteilheit erzielt werden, die in der Isolationsprüfnorm gefordert wird.

Um die Testzeit für beschleunigte Dauertests zu variieren, kann die Rechteckfrequenz des Generators zwischen 2 kHz und 20 kHz eingestellt werden.

Neben den elektrischen Parametern zur Isolationsprüfung standen bei der Entwicklung zwei wesentliche Anforderungen an einen Isolationsdauerprüfstand im Fokus:

  1. Der Generator darf niemals seine eigenen Isolationsgrenzen überschreiten und sich selbst belasten.
  2. Die meisten Isolationsprüfungen enden mit einem Spannungsdurchschlag, der aus Sicht des Generators einen niederohmigen Kurzschluss darstellt. Der resultierende hohe Kurzschlussstrom muss über die gesamte Lebensdauer des Geräts innerhalb von Mikrosekunden zuverlässig erkannt und abgeschaltet werden.

Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen SAXOGY® und der Hochschule Hannover wurde ein fortschrittlicher modularer du/dt-Pulsgenerators entwickelt. Dieser innovative Prüfstand stellt einen bedeutenden Fortschritt bei der beschleunigten Lebensdaueruntersuchung von Isoliersystemen dar.

Er bietet ein wertvolles Werkzeug zur Validierung bestehender und zur Entwicklung neuer Isoliersysteme. Zudem trägt er so zur Verbesserung zukünftiger leistungselektronischer Systeme bei.

Ausblick: Angesichts der Bedeutung des Themas wird im nächsten Monat ein weiterer Artikel veröffentlicht. Teil 2 befasst sich mit dem Design und den Herausforderungen des neuartigen du/dt-Generatorprüfstands.

Abbildung 6: SAXOGY’s modularer du/dt Puls Generator in einer Sicherheitsmessbox, Ausgestellt auf der PCIM 2023

Forschung und Entwicklung im Bereich der beschleunigten Isolationsdauerprüfung

Die Zusammenarbeit zwischen SAXOGY® und der Hochschule Hannover hat zur Entwicklung eines fortschrittlichen modularen du/dt-Pulsgenerators geführt. Dieser innovative Prüfstand stellt einen bedeutenden Fortschritt bei der beschleunigten Isolationsdauerprüfung dar. Als wertvolles Werkzeug zur Validierung und Entwicklung neuer Isolationssysteme trägt der Generator zur Verbesserung zukünftiger leistungselektronschier Systeme bei.

SAXOGY POWER ELECTRONICS GmbH und die Hochschule Hannover
Seit 2020 kooperiert SAXOGY® aktiv mit der Universität Hannover in Form von Forschungs- und Wirtschaftsprojekten. Das im Artikel beschriebene Projekt „ISODyn – dynamisches, modulares Prüfgerät für moderne Isolationssysteme in Elektromotoren“ wurde im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) des BMWi gefördert.

Die Ergebnisse waren:

  • ein Funktionsprototyp des Testgenerators
  • ein kompletter Prüfstand zur Untersuchung des Einflusses hochdynamischer Spannungsimpulse auf isolierte Leitungen, inklusive Auswertesoftware
  • neue Messdaten und Erkenntnisse über Alterungsmechanismen der Isolierung
  • marktreifes Prüfgerät zur Prüfung von Isolationssystemen
  • Weiterentwicklungen zur Erhöhung der Sicherheit im Umgang mit hohen Spannungen (z. B. Sicherheitsmessbox von SAXOGY®)

Hochschule Hannover; Institut für Sensorik und Automation (ISA)

Dieser Artikel ist Teil unserer 2teiligen Serie. Der nächste Artikel wird in der Mai-Ausgabe der Bodo’s Power Systems erscheinen. https://www.bodospower.com/current.aspx

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